- Der Prinz der Nacht (Splitter, 1995-2000)
- Der Prinz der Nacht (Kult, 2002-2003)
- Der Prinz der Nacht - Integral (Kult, 2014)
Der Prinz der Nacht
Von JÁNOS MOSER.
Seit Twilight haben Vampire in der öffentlichen Wahrnehmung keinen leichten Stand mehr. Als Glitzerträume adoleszenter Mädchen verschrien, fristen sie ein Schattendasein und sind bestenfalls noch als einfallslose Halloween-Kostümierung zu gebrauchen. Und doch gibt es immer wieder Versuche, die Vampirgestalt vor dem Tod zu bewahren – in der Videospielwelt ist dies mit den hervorragenden Castlevania-Games längst geschehen. Trotzdem, so scheint es, fehlen noch die Geschichten, die Schrecken eines Formats von Bram Stoker in unserer Zeit. Die Unternehmung, diese Lücke zu füllen, übernimmt – will man dem Vorwort Glauben schenken – Comiczeichner Yves Swolfs mit seinem aus zwei Zyklen bestehenden Werk Der Prinz der Nacht. Hauptfigur und Vampirfürst Vladimir Kergan eifert im Geiste nicht nur seinem grossen Vorbild Dracula nach, er entfacht auch einen generationen- und zeitenübergreifenden Konflikt. Nach einer blutigen Tragödie macht es sich die Familie Rougemont zur Aufgabe, den Vampir zur Strecke zu bringen. Die Bürde wird von Sohn zu Sohn übertragen, sodass wir, ausgehend vom zwölften Jahrhundert über die Zeit der Inquisition und das 19. Jahrhundert schliesslich im Paris der 1930er-Jahre landen, wo der letzte Spross der Familie seinen Auftrag zu Ende bringen muss. Dabei folgt der Leser keiner festen Chronologie – das Hin- und Herspringen zwischen den Epochen macht den besonderen Reiz der Geschichte aus.
Tiefenpsychologie
Wer auf viel blutige Action und Eingeweide hofft, wird zunächst enttäuscht sein. Der Gore-Faktor, wie man ihn vom Horrorgenre erwarten könnte (oder erwarten will) ist relativ gering. Vampirgeschichten bieten allerdings ohnehin eine Ausnahme. Auch bei Swolfs ist der äussere Konflikt zwischen Kergan und den Rougemonts nur eine Seite der Medaille. Schauplatz der 1930er ist zu Beginn die Praxis eines Tiefenpsychologen, der die Vampirträume des Protagonisten zu ergründen sucht. Die Erinnerungen der moralisch nicht immer unbefleckten Vampirjäger-Ahnen verdichten sich im Traumerleben der Hauptfigur zu einer Kette aus Schuld, Begehren und Furcht. Höhepunkt dieser Psychologisierung bildet eine Traumreise, in welcher der älteste Rougemont und Kergan zu einer zweigesichtigen Statue verschmelzen – das Schicksal der Familie ist untrennbar mit dem Vampir, ihrer dunklen Seite verbunden. Damit gemeint ist vor allem die Sexualität. Anders, als es bei Comics leider häufig der Fall ist, verzichtet Swolfs jedoch auf pure Fleischbeschau aus Sensationslust. Im Gegenteil fängt er den Geist von Geschichten wie Carmilla perfekt ein, die sich zwar um dieses Thema drehen, es aber in den Kontext der Gesellschaft stellen.
Zeiten und Orte
Im Falle vom Prinz der Nacht müsste man genau genommen gleich von Gesellschaften sprechen, da jede einzelne Zeitepoche mit ihrer spezifischen Sprache und ihrem Habitus hervortritt. Trotz einiger Holprigkeiten (in der Übersetzung?) sind die Schärfe und der Detailreichtum, mit der Swolfs die jeweilige Epoche zeichnet, die grösste Stärke des Comics. Ob ein mittelalterliches Schloss oder ein pestverseuchtes Venedig: Die Zeichnungen strotzen vor Atmosphäre, und man fühlt sich beim Betrachten der Bilder augenblicklich am entsprechenden Ort. Eine für eine Vampirgeschichte ungeheuer realistische Detailtreue nimmt einen auf die Zeitreise mit. Die stimmungsvoll-düsteren Farbtöne, von Swolfs Partnerin entworfen, bilden die Krönung eines zeichnerischen Meisterstücks. Der grosse Bogen spannt sich trotz der Zeitsprünge stringent vom Anfang bis zum Ende. Einzig am Schluss sackt die Geschichte ins Trashige ab. Mussten denn unbedingt auch noch Nazis und der Teufel auftauchen? Nun, angesichts der grandiosen vorigen Seiten ist dieser Patzer gerade noch so zu verschmerzen.
Fazit
Wer auch nur im Entferntesten etwas mit Vampirgeschichten am Hut hat und gerne Comics liest, sollte sich Der Prinz der Nacht unbedingt einmal anschauen. Zwar bedient Swolfs jedes Klischee, aber er tut dies auf so eine glaubwürdige Weise, dass sie zwingend, natürlich erscheinen; Stoker hätte (neben mir) seine wahre Freude daran – die Geschichte kehrt zu den Wurzeln zurück. Mehr noch: die Verschmelzung von realistischen und übernatürlichen Elementen macht den Comic zu dem, was das phantastische Genre schlechthin können und leisten soll. Nach dem Twilight-Glitzerdesaster eine wahre Wohltat.
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